Ravensburg – Für einen Moment geht die Tür des Schwurgerichtssaals in Ravensburg auf, hinter der seit Montag nicht öffentlich gegen den 15-jährigen Florim S. und den 17 Jahre alten Martin K. verhandelt wird. Der Richter Jürgen Hutterer hat eine Prozesspause eingelegt, damit die Staatsanwältin Christa Gillig den Journalisten den Anklagevorwurf schildern kann. Er lautet auf gemeinschaftlichen Mord, die Höchststrafe nach dem Jugendstrafrecht liegt bei zehn Jahren.

Am 15. April 2009 soll Florim S. die 26-jährige Daniela K., Mutter eines Kleinkindes, mit einem Brecheisen erschlagen haben. Sie musste sterben, so der Vorwurf, weil sie den Nachbarsjungen bei einem Einbruch in ihre Wohnung überraschte. Martin K. soll alles gewusst, sogar das geknebelt am Boden liegende Opfer in Augenschein genommen haben, bevor die tödlichen Schläge fielen. Er informierte nicht die Polizei.

Die Tat war kaltblütig geplant

Die Staatsanwaltschaft hat dafür eine grausige Erklärung. Martin K. ist ihrer Überzeugung nach am Plan, in die Wohnung von Daniela K. und ihres Mannes einzubrechen, beteiligt gewesen. Etwa eine Woche lang hätten die Jugendlichen an der Tat getüftelt, sich ein Brecheisen, eine Schreckschusswaffe, einen Hammer und Klebeband beschafft und in einen Rucksack gepackt, so Staatsanwältin Gillig. Mit einem Handy hatten sie sich Tage vor der Tat maskiert und in martialischer Pose gegenseitig fotografiert, die bedrohlich wirkenden Bilder gelangten während der Ermittlungen an die Presse. Unter dem Balkon des Opfers grub Florim tagelang ein Erdloch, eine Mördergrube, wie Ermittler schnell glaubten.

Florim behauptet mittlerweile, er habe in dem Loch Garagenmüll vergraben wollen. Das Klebeband soll zu einem einzigen Zweck mitgenommen worden sein: Für den Fall einer Entdeckung sei überlegt worden, so Anklagevertreterin Gillig, „dass man dann das Familienmitglied fesseln und gegebenenfalls auch töten müsse“.

Die Wucht dieses Vorwurfs ist enorm, sie zeichnet auch den Vater von Florim S., einen Kosovo-Albaner. Er könne das alles nicht verstehen, murmelt er in einer Pause, er wisse nicht, was in den Köpfen junger Leute vorgehe, sein Sohn habe doch alles gehabt, alles bekommen.

Einer der Täter fiel schon zuvor mehrfach auf

Der Einbruchsplan war fertig, aber dann, am Nachmittag des 15. April, als Daniela K. vermeintlich länger außer Haus und ihr Mann bei der Arbeit war, soll Martin K. einen Rückzieher gemacht haben. Hatte er Skrupel bekommen? Sein Kumpel Florim soll dann allein mit dem Rucksack über den Balkon in die Wohnung eingestiegen sein. Die Örtlichkeiten kannte er gut, denn das Fenster seines Jugendzimmers lag diesem Balkon gegenüber. Und er wusste auch, was in der Wohnung zu finden war. Mehrfach pro Woche hatte er dort Zeit mit seinem besten Freund Ron verbracht.

So lange, bis dieser Freund es mit seinem Vater und der Stiefmutter Daniela K. nicht mehr aushielt und von Bad Buchau fortzog. Das war wenige Wochen vor dem Mord, da war Florim noch 14 Jahre alt. Negativ aufgefallen war er in der Folge, weil er in seiner Schule einen Mitschüler niedergeschlagen hatte.

Während des Einbruchs passierte tatsächlich, was von den Tätern befürchtet, aber wogegen Vorsorge getroffen worden war. Daniela K. kam zurück in ihre Wohnung. Der kräftige Vereinsfußballer Florim S. soll die Frau, die den Nachbarssohn trotz seiner Maske sofort erkannte, überwältigt, gefesselt und geknebelt haben. Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft war er ratlos, verließ die Wohnung und holte den auch in der Nachbarschaft wohnenden Martin K. zum Tatort. Der soll das am Boden liegende Opfer gesehen, aber erklärt haben, er mache „da nicht mit“.

Ein Rückzieher kann die Tat nicht verhindern

Er ging zurück in sein Jugendzimmer, laut Christa Gillig wissend, dass die Frau sterben werde. Daniela K. wurde durch mehrere wuchtige Schläge mit einem Brecheisen auf den Kopf getötet. Ihre Tochter befand sich währenddessen in der Wohnung. Als der Ehemann der Toten von der Arbeit kam, entdeckte er die Leiche im Keller.

Was Gegenstand eines weiteren Jugendstrafverfahrens vor dem Amtsgericht Biberach ist: Martin K. war nicht der einzige vermeintliche Mitwisser. Sechs weitere Jugendliche im Alter von 14 bis 16 Jahren saßen bei ihm zu Hause und erfuhren in Echtzeit vom Mord. Niemand aus der Clique handelte. Kurz vor Weihnachten verurteilte das Biberacher Jugendschöffengericht zwei 15-jährige Jungen wegen „Nichtanzeige geplanter Straftaten“ zu Bewährungsstrafen von sechs und zehn Monaten Haft. Gegen zwei angeklagte Mädchen ist der Prozess ausgesetzt worden.

Die Anklage stützt ihre Erkenntnisse zum Tatablauf stark auf die Geständnisse der beiden Angeklagten nach der Festnahme. Doch es gibt noch ein wichtiges Indiz für den Mordplan. Nach den tödlichen Schlägen soll Florim S. erneut zu Martin K. gegangen sein und mit ihm beratschlagt haben, wie die Leiche zu beseitigen sei. So schildert es Staatsanwältin Gillig. Gemeinsam mit dem Kumpan habe er beschlossen, die Tote zu verbrennen. Bei einer Tankstelle sei ein Kanister mit Benzin gekauft worden. Doch bei der Rückkehr sei am Tatort bereits ein Rettungswagen gesichtet worden. Den Benzinkanister stellte die Polizei später auf der gegenüber liegenden Straßenseite sicher.

Martin K. bestätigte den Tathergang

Martin K., der am Montag vor Gericht bis zum Nachmittag befragt wurde, bestätigte die Darstellung der Staatsanwaltschaft am Montag im Wesentlichen. Doch der Ravensburger Strafverteidiger Uwe Rung, der Florim S. vertritt, hat erhebliche Zweifel an der Geschichte vom brutalen Mörder und seinem passiven, feigen Helfer. Dem vom Gericht als Gutachter bestellten Tübinger Jugendpsychiaters Gunther Klosinski soll Florim S. während der Untersuchungshaft eine andere Version der Tat erzählt haben.

„Danach war Florim zwar der Haupttäter, was den Einbruch und die Planung betrifft, nicht aber, was die Tatausführung betrifft“, so Anwalt Rung. Ihm zeigt sich das Bild einer Justiz in Oberschwaben, mit der das Jagdfieber durchgegangen ist.

Ein Beleg dafür ist laut Rung die Tatsache, dass die Handyfotos, die Teil der Prozessakten sind, noch vor Abschluss der Ermittlungen an die Presse gelangten. Rungs Kernvorwurf zielt aber auf die Vernehmung des knapp 15-Jährigen kurz nach der Festnahme am Abend des 15. April. Gegen 18.30 Uhr sei Florim laut Protokoll zunächst als Zeuge bei der Polizei vernommen worden. Gegen 22 Uhr sei die Situation in eine Beschuldigtenvernehmung umgeschlagen, die bis Mitternacht angedauert habe.

Noch keine Entscheidung vom Gericht

„Die Mutter wusste davon nichts, und auch kein Anwalt war dabei“, kritisiert Rung. Die Vernehmung ohne Anwalt sei zunächst sogar fortgesetzt worden, nachdem Florim durch das Gericht ein Pflichtverteidiger zugeordnet worden sei. Nach seiner Rechtsauffassung sei das erste Geständnis Florims „nicht verwertbar“.

Auch der Verteidiger von Martin K., der Biberacher Anwalt Philipp Mohrschulz, zweifelt die Rechtmäßigkeit der ersten Vernehmungen an. Er hat am Montag beantragt, die Geständnisse der Angeklagten aus den Stunden direkt nach ihrer Festnahme aus der Liste der Beweise zu streichen. Rung will, was seinen Mandanten angeht, dasselbe beantragen. Sein Mandant sei nicht der kalte Killer, als der er dargestellt worden sei. Die Situation am 15. April im Buchauer Mehrfamilienhaus sei einfach „explodiert“. Das Gericht hat am Montag noch keine Entscheidung zu den Anträgen getroffen. Ein Dutzend Zeugen sollen in den nächsten Verhandlungstagen gehört werden. Der Prozess wird sich bis in den Februar ziehen.

Bericht der Stuttgarter Zeitung