Der Mann, der nach eigenen Angaben am 27. August vergangenen Jahres auf dem Poststeg in der Tuttlinger Innenstadt einen 95-Jährigen überfallen, beraubt und schwer verletzt hat (wir berichteten), könnte eingeschränkt oder voll schuldunfähig sein. Entsprechende erste Andeutungen lieferte der zweite Prozesstag vor dem Landgericht Rottweil.
Eher beiläufig berichtete Charalabos Salabasidis, der psychiatrische Gutachter, der Angeklagte leide unter Halluzinationen, höre immer wieder Stimmen, die ihm sagten, er solle Suizid begehen, also sich selbst umbringen. Diese Gefahr bestehe nicht, betonte der Sachverständige und bejahte gleichzeitig die Frage von Karlheinz Münzer, dem vorsitzenden Richter, ob der Angeklagte noch verhandlungsfähig sei.
Entscheidende Bedeutung in diesem Prozess kommt der Frage zu, in welchem Zustand der Angeklagte zum Zeitpunkt der Tat war. Das versuchte das Gericht am Freitag in mühsamer, manchmal zäher Kleinarbeit zu klären.
Zwei Männer berichten über „nicht normales“ Verhalten
Videokameras beweisen, dass sich der 31-jährige gebürtige Tuttlinger, der außer seinem Geständnis nichts sagt, nach dem Überfall am frühen Morgen des 27. August zwischen 5.40 und 6 Uhr vom Poststeg zum Zentralen Busbahnhof begab, wo er sich auffällig verhielt. Das berichteten zwei Männer, die auf den Bus warteten als Zeugen: Ein 61-jähriger schilderte, wie der Mann mitten auf eine Busspur gestanden sei und einen Monolog gehalten habe. „Das war nicht normal.“
Dann sei er auf einen türkischen Mitbürger zugegangen, habe zuerst um eine Zigarette und dann darum gebeten, ihn auf dem Gang zum Zigaretten-Automaten an der Jägerhofstraße zu begleiten. Der türkische Mann sagte, der ihm völlig fremde sei zwar höflich gewesen, trotzdem habe er sich unwohl gefühlt und alles mitgemacht, um keinen Ärger zu bekommen und seine neben ihm sitzende Frau herauszuhalten. Schließlich habe ihm der Mann 20 Euro aufgedrängt. „Das muss man doch anerkennen“, habe „der Mann mit der Kapuze“ getönt, sagte der 61-Jährige. Er teilte auch sein Unverständnis mit, dass er dem türkischen Mann einfach aufdringlich den Arm um die Schulter gelegt habe.
Stand der 31-jährige Angeklagte unter Einfluss von Drogen?
Der 27-jährige Türke beschrieb den Fremden auf bohrende Fragen des Gerichts: „Er war durcheinander. Er war angetrunken. Er hat ein wenig nach Alkohol gerochen. Er war komisch und hat geschwankt.“ Die für das Gericht entscheidenden Aspekte, ob der 31-jährige Angeklagte richtig betrunken war, unter dem Einfluss von Drogen oder geistiger Verwirrung stand, konnte der Zeuge nicht beantworten.
Dass der mutmaßliche Täter bereits am Tag nach dem Überfall gefasst werden konnte, ist auch der Verdienst des 95-jährigen Opfers. Er beschrieb „den Mann mit der Kapuze“ nicht nur detailliert, sondern fertigte auch eine Skizze vom auffälligen Emblem auf dem Rücken dessen Lederjacke an. Der Rest war Routine für die Polizei. Zumal der Beschuldigte wegen seiner Vorstrafen einschlägig bekannt war und diverse Videokameras in der Stadt mithalfen.
Zunächst versuchte der 31-Jährige die Tat zu leugenen und einen „syrischen Asylbewerber“ vorzuschieben. Schließlich aber musste er unter dem Eindruck der Beweise gestehen.
Für den 95-Jährigen begann eine schwere Zeit. Bis dahin hatte er „alles gemacht“: Sein Haus repariert, weil ihm die Handwerker nicht gut genug waren, Schnee geschnippt – auch für die Nachbarn. Er sei Auto gefahren, habe die Küche eingebaut oder Kuchen gebacken. „Er war geistig und körperlich fit“, bestätigte seine Hausärztin am zweiten Prozesstag.
Das änderte sich nach dem Unfall, wie mehrere Zeugen berichteten: Er baute geistig und körperlich ab, traute sich morgens nicht mehr auf die Straße, wo er zuvor schon kurz nach 5 Uhr Fitnessläufe absolvierte. Er ließ plötzlich am frühen Abend die Jalousien runter. Er hatte immer wieder das Bedürfnis, über den Überfall zu sprechen, wobei ihm sogar auch Tränen in die Augen schossen, stand manchmal versonnen am Fenster und sagte fassungslos: „Wie kann man nur so etwas machen?“
95-jähriges Opfer erleidet totalen Zusammenbruch
Ziemlich genau vier Wochen nach dem Überfall kam der totale Zusammenbruch: Mit Sprach- und Wortfindungsproblemen wurde er in die Tuttlinger Klinik eingeliefert. „Das war lebensbedrohlich“, sagte der behandelnde Oberarzt. Er und seine Angehörigen wehrten sich zunächst gegen eine Operation, willigten schließlich aber ein. „Sonst wäre er gestorben“, sagte der Arzt.
Zum zweiten Prozesstag kam der 95-Jährige in den Gerichtssaal, um den weiteren Verlauf der Verhandlung zu verfolgen. Der Prozess wird am Dienstag, 26. Februar, fortgsetzt.
Quelle: www.schwaebische.de