Weingarten Die 40 Jahre alte Angeklagte im Weingartener Kopfschuss-Prozess ist laut psychologischem Gutachten vermindert schuldfähig. Beim Prozess wurden am Montag neben dem schweren Alkoholmissbrauch auch Schizophrenie und eine Persönlichkeitsstörung festgestellt. Die Gründe dafür liegen offenbar tief. Auch weil sich die Weingartenerin selbst dazu praktisch nicht äußert, kann der Komplex nur schwer nachvollzogen werden. Wie ein älteres Gutachten des Zentrums für Psychiatrie Weißenau (ZfP) aus dem Jahr 2002 nahelegt, ist sexueller Missbrauch als eine Ursache wahrscheinlich.
Ob die Angeklagte von einem Mann mit dem Spitznamen „Porno Frank“ mehrere Tage in einer Wohnung festgehalten und dabei sexuell missbraucht wurde, wie von einer Zeugin geschildert, scheint dagegen fragwürdig. „Wir haben dazu keine weiteren Kenntnisse und können nichts verifizieren“, sagt Oberstaatsanwalt Karl-Josef Diehl. „Bei uns ist weder ein Verfahren gegen ihn noch sie als Geschädigte erfasst.“
Demnach ist unklar, ob der Vorfall nur nicht angezeigt wurde oder er sich überhaupt ereignet hat. Die Angeklagte hat sich während des Prozessverlaufes nur dahingehend geäußert, dass sie Angaben einer Zeugin bestätigte. Diese stützte ihre Aussagen wiederum nur aufs Hörensagen. Die Zeugin hatte vor Gericht ausgesagt, dass ein Mann mit dem Spitznamen „Porno Frank“ die Angeklagte mehrere Tage in einer Wohnung gefangen gehalten, unter Drogen gesetzt, ihrer Kleider beraubt und vergewaltigt habe. In einer Erklärung hatte die Angeklagte verlesen lassen, dass sie Ähnliches vom späteren Opfer erwartet habe.
Wichtiges Gutachten von 2002
Für etwas mehr Klarheit hatte am Montag das Gutachten des ZfP aus dem Jahr 2002 gesorgt. Damals war sie im Februar im ZfP aufgenommen worden – ihr vierter von insgesamt rund 20 Aufenthalten. Aus dem Bekanntenkreis wurde damals der Verdacht eines sexuellem Missbrauchs geäußert. In diesem Zusammenhang fiel auch der Name „Porno Frank“, der heute wohl nicht mehr lebt. Diesem Verdacht sei das ZfP damals nachgegangen. Er konnte wohl aber nicht nachgewiesen werden. Das zumindest geht laut Diehl aus dem Gutachten des ZfP hervor.
Dieses interpretiert die Verteidigung der Angeklagten etwas anders. Rechtsanwalt Uwe Rung erklärt auf Nachfrage, dass das ZfP „damals der Meinung war, dass sie sexuell missbraucht wurde“. Auch sei die Beschuldigte damals ohne Unterbekleidung aufgefunden worden. Das alles decke sich mit der Aussage einer Zeugin. Seine eigene Mandantin habe über das Thema nichts weiter gesagt, so Rung. Sein Gegenüber, Klaus Schulz, Anwalt der Nebenklage, liest das Gutachten anders. Die Angeklagte sei 2002 völlig desorientiert beim ZfP erschienen. „Man hat sie untersucht, es gab keine konkreten Merkmale einer Gewaltanwendung, und als sie wieder auf der Reihe war, hat sie es verneint“, sagt er. „Man kann nicht sagen, dass sie damals vergewaltigt wurde. Das gab die Beweislage nicht her.“
Erpressung nicht nachweisbar
Auch hält Schulz den Vorwurf der Angeklagten, das spätere Opfer habe sie mit Nacktaufnahmen erpresst, für völlig abwegig. „Da war gar nichts. Da wurde nichts gefunden, weil nichts da war“, sagt er. Das bestätigt auch Oberstaatsanwalt Diehl – zumindest teilweise. Die Angeklagte habe Ende 2015 in Weingarten wegen „Verletzung der höchstpersönlichen Lebensbereiche durch Bildaufnahmen“ Anzeige gegen das spätere Opfer erstattet. Daraufhin habe es eine Hausdurchsuchung gegeben, bei der zwar Nacktaufnahmen von ihr gefunden wurden. Diese seien allerdings mit ihrem Einverständnis entstanden, hatte die Angeklagte damals erklärt. Dennoch stellte sie im März 2016 einen Strafantrag – allerdings nicht mehr fristgerecht. „Der Tatverdacht, dass er sie erpressen wollte, hat sich nicht bewahrheitet“, erklärt Diehl.
Verteidiger: Vorwurf Stalking
Auch in diesem Aspekt gehen die Meinungen auseinander. Rung glaubt an die Erpressung, auch weil das Opfer der Angeklagten nachgestellt habe. „Zum Teil hat er die Wohnung überwacht und den Müll durchsucht“, sagt Rung. In diesem Zusammenhang verweisen Diehl und Schulz jeweils darauf, dass das Verhältnis von beiden Seiten vom Bedürfnis nach Nähe geprägt gewesen sei. Schließlich habe die Angeklagte während ihrer Zeit im Gefängnis im Jahr 2015 zwanzig Briefe an das spätere Opfer geschrieben, in der teilweise gar eine mögliche Hochzeit thematisiert wurde.
„Sie hat durchaus die Nähe gesucht. Sie hat ihn auch als Freund begriffen“, sagt Schulz. Diehl sieht zwar eine gewisse Kontrolle des Opfers, jedoch nicht in Stalking-Dimensionen. „Stalking ist relativ einseitig. Das ist es nicht“, sagt er. „Sie hat ihn schon auch gebraucht.“