Qigong, Kleopatrabäder, Klangschalen-Therapie: So lautet das Rezept einer Privatklinik in Oberschwaben gegen allerlei Stress-Leiden. Dabei wurden offenbar die Kassen betrogen – und die Patienten machten mit.

 

Ravensburg Der 59-jährige Chefarzt und Eigentümer einer Burnout-Kurklinik in Bad Waldsee macht nach neunmonatiger Untersuchungshaft den Eindruck, als litte er selbst an jener Krankheit, die man gemeinhin ausgebrannten Managern zuschreibt. Als der groß gewachsene, selbst ernannte „Anti-Stress-Experte, Geschäftsmann und Macher“ am dritten Verhandlungstag den Saal im Ravensburger Landgericht betritt, verströmt er alles andere als das Selbstbewusstsein des erfolgreichen Klinikbetreibers. Er wirkt eher wie einer, der vorsorglich um Gnade bittet, indem er beinahe unterwürfig den Staatsanwalt per Handschlag begrüßt.

Es geht für den Chefarzt – aber auch für seine mitangeklagte Frau, die als Geschäftsführerin der Klinik eingetragen ist – um nichts mehr als um den Erhalt der Approbation und um die Dauer der zu erwartenden Haftstrafe. Oberstaatsanwalt Karl-Josef Diehl hat am dritten von bisher geplanten neun Verhandlungstagen schon mal erkennen lassen, dass das Strafmaß für den Doktor bei sechs Jahren liegen könnte – mit zweijährigem Abschlag im Falle eines vollen Geständnisses. Angeblich hat das Ehepaar schon begonnen, Wiedergutmachung des Schadens zu leisten. Nach Auskunft der Verteidiger seien an die Debeka-Versicherungsgruppe Rückzahlungen in Höhe von 435 000 Euro geflossen.

Gut im Geschäft mit Psychotherapie und Psychosomatik war die 60-Betten-Privatklinik in der oberschwäbischen Kurstadt Bad Waldsee seit langem. „Wir machen seriöse Medizin für erschöpfte und traumatisierte Patienten und tun unser Bestes“, ließ der Facharzt für Allgemeinmedizin wissen. Der Zulauf an Patienten sei in den letzten Jahren immer größer geworden. Wie zu hören ist, hat auch die Inhaftierung des Chefs dem Geschäftsmodell bisher nicht geschadet – die Belegung sei weiter gut, heißt es.

Behandelt wurden und werden Menschen aus dem gesamten Bundesgebiet gegen Krankheiten, „für die es in Deutschland nicht die richtige Behandlung gab“: Burnout, Ängste, Depressionen, Migräne, Tinnitus, Arthrose. Es handelt sich dabei sämtlich um Leistungen, die nicht zum Leistungsspektrum der Schulmedizin gehören.

Daher wurde das Abrechnungssystem der Privatklinik gegenüber Kassen und Beihilfestellen „passend“ gemacht. Laut staatsanwaltschaftlicher Erhebung soll durch manipulierte Rechnungen zwischen 2009 und 2013 ein Schaden zu Lasten der Krankenkassen von ziemlich genau 2,5 Millionen Euro entstanden. Eventuelle Betrügereien, die bis 2001 zurückreichen könnten, sind bereits verjährt.

Die nicht erstattungsfähigen Behandlungen trugen Bezeichnungen wie „Körper-Seele“, „Klangschalen- und Trauma-Therapie“, „Biografiearbeit“, aber auch „Thai-Massage“ und „Kleopatrabäder“ sowie „Qigong“. Erstattungsfähiger klangen da schon Begriffe wie „ärztliches Gespräch im Zusammenhang mit lebensverändernder Erkrankung“ oder „vollständige körperliche Untersuchung mindestens eines Organsystems“, die sich dann in den Rechnungen an die Patienten wiederfanden. Die dafür ausgewiesenen Behandlungskosten wurden von den Kassen im Einzelfall bis zur Höhe von 10 000 Euro bezahlt.

Das geschäftstüchtige Ehepaar macht freilich geltend, den Behandlungserfolgen hätten auch hohe Personalkosten gegenüber gestanden. Ihre Gehälter hätten nur zwischen 3000 und 4000 Euro gelegen.

Die Folgen des Betrugsmodells könnten auch bei der vorwiegend gut betuchten Klinik-Kundschaft neue Stress-Symptome auslösen: Oberstaatsanwalt Diehl hat angekündigt, dass demnächst rund 600 ehemalige Patienten Post von der Strafverfolgungsbehörde bekommen werden. Denn sie haben den Angaben zufolge von der betrügerischen Abrechnungspraxis der Privatklinik gewusst und profitiert. Gegen sie wurden ebenfalls Ermittlungsverfahren wegen Betrugs eingeleitet. Ihnen wird unterstellt, gewusst zu haben, dass sie Behandlungen erhielten, die bei den Krankenkassen falsch berechnet wurden.

Die Betrugsmasche war ans Licht gekommen, nachdem Mitarbeiter der Kurklinik die Krankenkassen informiert hatten. Ein Urteil soll Mitte Januar gesprochen werden.

Bericht vom Schwäbisches Tagblatt