Zwei Jugendliche sollen im schwäbischen Bad Buchau eine Nachbarin erschlagen haben. Vor Gericht schieben sie sich gegenseitig die Schuld zu. Laut Gutachten hätte der Tod der jungen Mutter verhindert werden können – hätte die Clique die Teenager nicht angestachelt.
Hamburg – Die Eltern stehen Florim S. und Martin K. jetzt bei. Zu jedem Verhandlungstag fahren sie ins Landgericht Ravensburg und nehmen auf den Stühlen Platz, die nahe an der Anklagebank stehen. Der 15-Jährige und der 17-Jährige sind wegen gemeinschaftlichen Mordes an ihrer Nachbarin, der 26 Jahre alten Daniela K. angeklagt. Die Höchststrafe nach dem Jugendstrafrecht liegt bei zehn Jahren.
Die Wucht dieses Vorwurfs ist immens, sie hat auch bei den Angehörigen Spuren hinterlassen. Florims Vater, ein Kosovo-Albaner, schleicht in den Verhandlungspausen über die Flure des Gerichts. Er verstehe nicht, was in seinem Sohn vorgegangen sei, dass er nun hier sitze. Er habe versucht, ihn anständig und zu einem guten Menschen zu erziehen, sagt er.
Am Donnerstag sollen die Plädoyers gehalten werden.
Der Fall wurde hinter verschlossenen Türen vor dem Schöffengericht verhandelt. Die Kammer unter Vorsitz von Richter Jürgen Hutterer muss herausfinden, was sich am 15. April vergangenen Jahres abgespielt hat. Denn die beiden Angeklagten beschuldigen sich gegenseitig der Tat. Ihre Verteidiger sagen, die Jugendlichen hätten „nur“ einen Einbruch geplant und seien ausgerastet, als die Frau sie erkannt habe. Ihr Tod sei letztlich der Gruppendynamik innerhalb der Clique – vier Jungen, zwei Mädchen – geschuldet. Besonders letztere hätten S. und K. angestachelt.
Der renommierte Tübinger Jugendpsychiater Gunther Klosinski bestätigte nun vor Gericht, dass sich im Vorfeld des Geschehens tatsächlich eine Gruppendynamik entwickelt habe. Demnach hätten Florim und Martin vor allem den Mädchen imponieren wollen.
„Sie wollten sich vor den Mädchen nicht die Blöße geben“
„Die Mitglieder der Clique sahen sich wohl als Rapper nach amerikanischem Vorbild. Sie idealisierten die Szene in den USA“, sagt Florims Verteidiger, Uwe Rung. Vor allem die jungen Frauen hätten in der Wahrnehmung der Jungen Druck aufgebaut. Laut Gutachter sei dieser Druck so groß gewesen, dass ohne ihn die Tat möglicherweise nicht passiert wäre.
„Die beiden Jungen wollten sich vor den Mädchen nicht die Blöße geben“, so interpretiert auch Philipp Mohrschulz aus Biberach, der Martin vertritt, die Aussagen des Gutachters. „Irgendwann gab es kein Zurück mehr.“
Die Jungen aus der Clique gaben bereits in einem gesonderten Jugendstrafverfahren vor dem Amtsgericht Biberach zu, dass Martin K. ihnen berichtete, Florim werde demnächst die Nachbarin „kalt“ machen. Die Mitwisser im Alter von 14 bis 16 Jahren blieben jedoch in Martins Zimmer hocken, während die Frau um ihr Leben kämpfte. Keiner informierte die Polizei, keiner die Eltern.
Wegen „Nichtanzeigen geplanter Straftaten“ wurden zwei 15-jährige Mitwisser bereits zu Bewährungsstrafen von sechs und zehn Monaten verurteilt. Der Prozess gegen die zwei angeklagten Mädchen wurde ausgesetzt. Deshalb können sie – wie ihre verurteilten Freunde – im jetzigen Verfahren als Zeugen auftreten. Für Florims Verteidiger ein Skandal. „Man hätte alle Beteiligten auf eine Anklagebank setzen müssen“, so Rung.
Mit dem Handy in martialischer Pose fotografiert
Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft haben die Jugendlichen eine Woche lang an dem Einbruch im Nachbarhaus getüftelt, sich ein Brecheisen, eine Schreckschusswaffe und einen Hammer beschafft.
Für den Fall, erwischt zu werden, packten sie – so Staatsanwältin Christa Gillig – Klebeband ein, mit dem man jemanden „fesseln und gegebenenfalls auch töten“ könne. Mit dem Handy hatten sie sich Tage vor der Tat maskiert und in martialischer Pose gegenseitig fotografiert.
Florim soll über den Balkon in die Wohnung eingestiegen sein. Die Örtlichkeiten waren ihm nicht fremd, denn das Fenster seines Jugendzimmers lag diesem Balkon gegenüber. Die Nachbarin kannte den 15-Jährigen gut – so gut, dass sie trotz Maskierung sofort wusste, wer der Einbrecher war.
Der Anklage zufolge überwältigte der Junge die Frau, fesselte und knebelte sie. Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft war er ratlos, verließ die Wohnung und holte den auch in der Nachbarschaft wohnenden Martin K. zum Tatort. Der soll das am Boden liegende Opfer gesehen, aber erklärt haben, er mache „da nicht mit“. Er ging zurück in seine Wohnung, laut Staatsanwältin Christa Gillig wissend, dass die Frau sterben werde.
Florim S. soll die Frau mit dem Brecheisen erschlagen haben. Danach soll er erneut zu Martin K. gegangen sein und mit ihm beratschlagt haben, wie die Leiche zu beseitigen sei. So schilderte es die Staatsanwältin vor Gericht. Gemeinsam mit dem Kumpan habe er beschlossen, die Tote zu verbrennen. Bei einer Tankstelle sei ein Kanister mit Benzin gekauft worden. Doch bei der Rückkehr sei am Tatort bereits ein Rettungswagen gesichtet worden. Den Benzinkanister stellte die Polizei später auf der gegenüber liegenden Straßenseite sicher.
War Martin K. tatsächlich nur der „passive feige Helfer“?
Martin K. bestätigte vor Gericht die Darstellung der Staatsanwaltschaft. Der Verteidiger seines Freundes hat erhebliche Zweifel an der Geschichte vom brutalen Mörder und „seinem passiven feigen Helfer“. Dem Jugendpsychiater Klosinski soll Florim S. während der Untersuchungshaft eine andere Version der Tat geschildert haben. „Danach war Florim zwar der Haupttäter, was den Einbruch und die Planung betrifft, nicht aber, was die Tatausführung betrifft“, so Anwalt Rung.
Die Anklage stützt ihre Erkenntnisse zum Tatablauf stark auf die Geständnisse der beiden Angeklagten nach der Festnahme. Für Florims Verteidiger ein weiterer Skandal. Der 15-Jährige sei zunächst als Zeuge vernommen worden, nach Stunden habe man ihn zum Beschuldigten gemacht – ohne ihn oder dessen Eltern davon in Kenntnis zu setzen. Laut Polizei habe Florims Mutter darauf verzichtet, ihrem Sohn bei den Vernehmungen beizustehen. „Frau S. bestreitet das“, betont Verteidiger Rung.
Der Rechtsanwalt kämpft in dem nicht öffentlichen Verfahren bislang auf verlorenem Posten. An der Gesichtsmaske seines jungen Mandanten wurden Blutspuren des Opfers gefunden. Die Bekleidung Martin K.s sei weder sichergestellt noch untersucht worden.
„Martin war noch duschen und sich umziehen, als Florim in der Kleidung, die er zur Tatzeit trug, bereits bei der Polizei war. Dass an Martins später gewechselten Kleidungsstücken keine Spuren der Tat zu finden waren, versteht sich damit von selber.“
Die Staatsanwaltschaft wollte sich zu diesem Punkt nicht äußern. „Es ist ein nicht öffentliches Verfahren“, so Gillig.
Florims Zellennachbar belastet den Jugendlichen schwer
Ein Mitgefangener Florims meldete sich während des Prozesses, um gegen den 15-Jährigen auszusagen. Dieser hätte ihm alles gestanden. Seine Aussage hatte der Mithäftling angeboten, wenn seine Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt oder er zumindest in ein anderes Gefängnis verlegt würde. Sein Schreiben an die Kammer hatte der junge Mann mit den Worten „Das ist ein Deal“ beendet.
Vor Gericht gab jener Mitgefangene an, dass Florim ihm die Tat gestanden habe. Seine Version des Tathergangs deckte sich mit der der Staatsanwaltschaft: Der 15-Jährige handelte demnach im Alleingang, sein Kumpel Martin war bei der Tötung nicht beteiligt. Der Verteidiger des 17-Jährigen, Philipp Mohrschulz, zeigte sich zufrieden mit dem Auftritt des Häftlings.
Florims Verteidiger dagegen hatte extra andere Mitgefangene geladen. Sie sollten belegen, dass der Häftling, dem sich Florim anvertraut haben soll, bereits andere Inhaftierte angezeigt und aus Vier-Augen-Gesprächen zitiert hat. Für Rung ist das vermeintliche Geständnis „bloße Erfindung“.
Eine Tatortbegehung, die Florims Verteidiger für unerlässlich hält, wurde indes abgelehnt. Die Leiche der Frau war von ihrem Mann im Keller des Wohnhauses entdeckt worden. Doch wie kam sie dorthin?
„Die gefesselte Leiche muss von beiden gemeinsam in den Keller getragen worden sein“, sagt Rung. Räumlich sei es anders nicht möglich, da mehrere Türen und Treppen – darunter eine Wendeltreppe – passiert werden müssen. „Ich halte das für ausgeschlossen, dass Florim das alleine bewältigt hat“. Der 15-Jährige wiege 60 Kilo, bei einer Körpergröße von 1,77 Meter.
Ein Beamter der Spurensicherung habe im Prozess bestätigt, dass der gesamte Tatkomplex „so weitläufig“ sei, dass er auf einem Video vom Tatort nicht im Ganzen festgehalten werden konnte. Das Gericht lehnte den Antrag dennoch ab – man könne sich alles auch so vorstellen, eine Tat-Rekonstruktion sei nicht durchführbar.